Barrierefreier Tourismus in der Schweiz: Bilden wir das Empfangspersonal aus!

Der barrierefreie Tourismus ist ein aktuelles Thema, das Gegenstand zahlreicher Projekte und Studien ist. Die Bachelorarbeit von Morgane Schweizer, die zwischen November 2021 und Juni 2022 im Studiengang Tourismus der HES-SO Valais-Wallis durchgeführt wurde, hatte zum Ziel, die Bedeutung der Ausbildung des Personals im Tourismusempfang zu analysieren, damit es in der Lage ist, Kunden mit einer geistigen, körperlichen oder sensorischen Behinderung angemessen und effizient zu informieren und mit ihnen zu kommunizieren.

 

Methodologie und Ziele der Studie

 

Eine Literaturanalyse, 14 semi-direktive Interviews mit Experten und Tourismusfachleuten und ein Benchmark der bestehenden Ausbildungen im barrierefreien Tourismus dienten dazu, die folgenden Ziele zu erreichen:

  • den Einfluss des barrierefreien Tourismus auf die Entwicklung einer integrativeren Gesellschaft zu bestimmen
  • bewerten, wie wichtig es ist, das Tourismuspersonal im Umgang mit Menschen mit Behinderungen zu schulen, um den Tourismus barrierefreier zu machen
  • Strategien zu identifizieren, um diese Art von Ausbildung in der Schweiz einzuführen

 

Aktueller Kontext

Barrierefreier Tourismus, ein unterschätzter Markt

Schätzungen zufolge leiden etwa 15% der Weltbevölkerung an einer Form von dauerhafter Behinderung., und diese Quote wird nach den derzeitigen demografischen Trends ständig steigen. In Europa haben zwischen 20 und 37% der Bevölkerung besondere Bedürfnisse in Bezug auf Barrierefreiheit, davon 40% der über 65-Jährigen. Im Jahr 2020 gab es in der Schweiz mehr als 1,8 Millionen Menschen mit Behinderungen, das sind 20,8% der Gesamtbevölkerung, von denen 30% unter schweren Einschränkungen leiden. Darüber hinaus machen Menschen über 65 Jahre, deren motorische, sensorische und geistige Fähigkeiten sich am ehesten verschlechtern, 18.8% der Schweizer Bevölkerung aus (BFS, 2020).

 

Folglich entspricht der barrierefreie Tourismus, der Menschen mit einer Form von Behinderung die aktive Teilnahme am Tourismus ermöglicht, den Anforderungen eines wachsenden Marktes und bietet daher ein großes wirtschaftliches Potenzial, das jedoch nicht ausreichend genutzt wird.

 

Bedeutung des Empfangspersonals

 

Mit denselben Motivationen, Bedürfnissen und Wünschen in Bezug auf Reisen und Freizeit wie nichtbehinderte Menschen haben Menschen mit Behinderungen jedoch spezifische Bedürfnisse, die von einer Behinderung zur anderen und je nach Phase der touristischen Erfahrung variieren.

  • Die Zugänglichkeit und Qualität der Infrastruktur und der Unterkünfte sind die ersten Kriterien, die eine Reise oder Aktivität mit einer Behinderung möglich machen.
  • Die Bereitstellung von angepassten, zuverlässigen und verständlichen Informationen sowie qualifiziertes Personal sind ebenfalls von größter Bedeutung.

 

Barrierefreie Angebote weisen häufig zahlreiche Lücken auf, insbesondere im Bereich der Kommunikation und der Bereitstellung von Informationen. Das Empfangspersonal, das eine zentrale Rolle für das touristische Erlebnis spielt, stellt ein entscheidendes Element bei der Entwicklung barrierefreier Angebote dar. Unverständliche oder unvollständige Informationen führen zu enttäuschenden touristischen Erfahrungen und vergrößern die Kluft zwischen Touristen mit Behinderungen und Menschen ohne Behinderungen. Daher gilt es, die Fähigkeiten zur angemessenen Kommunikation mit Gästen mit Behinderungen zu entwickeln, um den Tourismus für alle zugänglich zu machen.

 

 

Ergebnisse des Benchmarks

 

In Europa

Die analysierten Schulungen zeigen, dass einige Länder ein breites Spektrum an Schulungen zum Thema barrierefreier Tourismus anbieten. Zahlreiche Projekte auf europäischer Ebene wurden oder werden mit Unterstützung des Europäischen Netzwerks für barrierefreien Tourismus (ENAT) durchgeführt. Beispielsweise bietet das "T-Guides project" kostenlose Online-Schulungen für Fremdenführer an, um eine Tour zu leiten, die für Menschen mit Sprach- und Lernschwierigkeiten geeignet ist. Ein Dutzend Länder nehmen an dem Projekt teil und etwa 60 Fremdenführer wurden seit Beginn der Ausbildung im Jahr 2012 zertifiziert. Das Projekt "In-Tour" zielt darauf ab, Ausbildungsgänge auf Bachelor-Ebene in Form von spezialisierten Modulen für die Kommunikation und Information von Menschen mit Behinderungen einzurichten.

 

In der Schweiz

Die Analysen zeigen, dass die Schweiz bei der Entwicklung barrierefreier Dienstleistungen im Rückstand ist, was vor allem auf einen allgemeinen Mangel an Wissen über das Thema Behinderung und das Potenzial dieses Marktes zurückzuführen ist. Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang, das im Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hervorgehoben wird, ist der Mangel an Koordination und Kooperation, nicht nur zwischen Organisationen, sondern vor allem zwischen den verschiedenen Ebenen des Bundes und zwischen den verschiedenen Regionen. Zweitens erklärt ein Mangel an Wissen über die verschiedenen Behinderungen und die damit verbundenen Schwierigkeiten dieser Menschen im Alltag ebenfalls den Rückstand der Schweiz. Der letzte Punkt ist ein Mangel an konkretem Bewusstsein für Behinderung in der Gesellschaft im Allgemeinen.

 

Ergebnisse der qualitativen Interviews

Deutlicher Rückstand und Lücken

Die Mehrheit der 14 befragten Experten und Touristiker räumt ein, dass die Schweiz bei der Entwicklung des barrierefreien Tourismus einen deutlichen Rückstand aufweist. Die Schweizer Tourismusakteure haben im Allgemeinen noch nicht die wirtschaftliche Bedeutung dieses Segments erkannt, die Touristen mit besonderen Bedürfnissen darstellen.

Die Teilnehmer zählten die gleichen Lücken und Barrieren auf, die die Entwicklung des barrierefreien Angebots in der Schweiz einschränken: Erstens ein Mangel an finanziellen Mitteln und Unterstützung, zweitens Lücken bei der nationalen Koordination, der Zusammenarbeit und der Kommunikation zwischen den Interessenvertretern, die durch die Vielfalt und Komplexität der Tourismusbranche verstärkt werden. Darüber hinaus erschweren laut den Interviewpartnern das fehlende Wissen über den Behindertenbereich und die spezifischen Bedürfnisse der verschiedenen Beeinträchtigungen sowie die mangelnde Sensibilisierung die Entwicklung des barrierefreien Tourismus in der Schweiz und verstärken so existierende Vorurteile, was zu einem geringen Interesse an dem Thema führt.

 

Wesentliche Rolle der Kommunikation

Die Mehrheit der Befragten stimmte zu, dass die Kommunikation mit dem Kunden ein wesentliches und grundlegendes Element in der touristischen Dienstleistungskette ist. Mangelndes Wissen über die Arten von Behinderungen, die Zugänglichkeit und die durch die Infrastruktur verursachten Hindernisse verhindern jedoch die Erfüllung des touristischen Erlebnisses. Darüber hinaus gaben die verschiedenen befragten Personen, die im Empfangsbereich tätig sind, zu, dass sie nicht daran gewöhnt sind, Menschen mit Behinderungen Informationen zu geben, und beschrieben sich selbst als peinlich berührt von einer solchen Anfrage. Ein Gefühl, das zusätzlich durch die begrenzten Auswahlmöglichkeiten verstärkt wird, die angeboten werden können.

 

Zu entwickelnde Lösungen

Um die Zugänglichkeit des Schweizer Tourismus zu verbessern, sehen die Befragten folgende Lösungsansätze:

  • Sensibilisierung und Schulung des Personals, eine genauere und zentralisierte Bestandsaufnahme der Informationen über die Zugänglichkeit eines Ortes oder einer Aktivität, eine angepasste Kommunikation des Angebots sowie eine durchdachte Produktgestaltung, die das gesamte Kundenerlebnis berücksichtigt und das Thema Zugänglichkeit für alle einbezieht.
  • Geschultes Personal im Tourismusempfang, das in der Lage ist, einer Person mit Behinderung mit den richtigen Umgangsformen und Kommunikationsmethoden zu informieren und ihr zuverlässige und qualitativ hochwertige Informationen zu Die würde einen besseren Service und ein besseres touristisches Erlebnis garantieren.
  • Die Teilnehmer waren außerdem der Meinung, dass die Zahl der Anfragen steigen würde, wenn das Personal besser auf die besonderen Bedürfnisse im Zusammenhang mit der Barrierefreiheit eingehen könnte, was zu einem wirtschaftlichen Mehrwert für die Destination führen würde.

 

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

 

Die Einführung von Schulungen im Bereich des barrierefreien Tourismus ist ein entscheidender Schritt bei der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen sowie bei der Integration von Menschen mit Behinderungen. Um die Entwicklung dieser Art von Tourismus in der Schweiz zu fördern, sollte ihr wirtschaftliches und soziales Potenzial besser anerkannt werden. Dies erfordert jedoch eine konsequente Vorbereitung, um die Tourismusakteure für diese Thematik zu sensibilisieren, ihr Interesse an dieser Art von Ausbildung zu wecken und die Kurse optimal umzusetzen.

 

>> Bachelorarbeit als pdf-Download

 

Quelle der Abbildung: https://www. tourismusaccessible. com/