Kulturelle Identität & Kreativtourismus

#Kulturtourismus

Die Zeitschrift Espaces 375 von November-Dezember 2023 enthält ein spannendes Dossier über den Kulturtourismus in Frankreich und geht der Frage nach, wie ein positives und innovatives Modell entwickelt werden kann, um einer sich ständig ändernden Nachfrage gerecht zu werden. Es werden darin unterschiedliche Themen besprochen, unter anderem aus der Perspektive des Kreativtourismus, der Einführung neuer Geschäftsmodelle, der Bedeutung der Digitalisierung oder der Rolle, die lokale Gemeinschaften bei der Erneuerung des Kulturtourismus spielen. Einige Auszüge werden hier kommentiert.

Das Interesse der Touristen an immaterieller Kultur ist ein starker Trend

Wil Munster zufolge haben die meisten Nischentourismusprodukte ein gemeinsames Merkmal: Ihre Attraktivität beruht hauptsächlich auf immateriellen kulturellen Ressourcen, die von darstellenden Künsten über Handwerk bis hin zu Spiritualität oder Kreativität reichen. Nach und nach verlagert sich das Interesse der Touristen von materiellen zu immateriellen kulturellen Angeboten. Diese Bewegung lässt sich durch das Streben nach Erlebnissen erklären, das bei einer wachsenden Zahl von Kulturliebhabern zu beobachten ist, die es schätzen, an Veranstaltungen oder künstlerischen Performances teilzunehmen. Dieser Übergang zur immateriellen Kultur wird durch das wiedererwachte Interesse an lokalen Kulturen erklärt, so Jean-Michel Puydebat. So ist der "Kreativtourismus" entstanden, bei dem Touristen Musik-, Tanz- und Gesangsunterricht nehmen und in Workshops das lokale Kunsthandwerk erlernen.

Innovative handwerkliche und künstlerische Kreativaufenthalte in Portugal

Die Länder Südeuropas haben innovative Konzepte für kreative handwerkliche und künstlerische Residenzen entwickelt. In Cerdeira in Portugal werden Kreativaufenthalte für ausländische Kunden angeboten, die die Identität einer ländlichen Gegend kennen lernen möchten. In Frankreich sind diese Residenzen eher elitär. In Portugal bietet "Home for creativity" Kurse in Kochen oder künstlerischen Praktiken an, die von Handwerkern und Künstlern betreut werden, die offen für diese Art von Vermittlung sind.

 

https://www.cerdeirahomeforcreativity.com/homepage_en

Zurück zum Lokalen: eine Suche nach Authentizität

Die Rückbesinnung auf das Lokale ist eine Reaktion nicht nur auf die Globalisierung, sondern auch auf den Individualismus, die Eile und die Oberflächlichkeit des Lebens in der heutigen westlichen Gesellschaft. Die Slow-Food-Bewegung entstand als Gegenpol zur Fast-Food-Kultur. Die Vorliebe für lokale Identitäten ist eine Ablehnung der amerikanischen Monokulturen, wie sie in Disney-Freizeitparks zu finden sind. Diese Gegenbewegung hat das Interesse der Einheimischen an ihrer eigenen Identität und der Kultur ihrer Gemeinschaft geweckt. Sie wird von Touristen genährt, die in die Ferien fahren, um von ihrem hektischen Alltag abzuschalten ... auf der Suche nach der berühmten Authentizität, die sie in die tiefsten ländlichen Gegenden führt.

Reiseziele setzen auf ihre kulturelle Identität

Laut Claude Origet du Cluzeau ist das kulturelle Angebot im 21. Jahrhundert zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Tourismus geworden, da es Identifizierbarkeit, wenn nicht Einzigartigkeit ermöglicht und es in jedem Fall unmöglich macht, ein Reiseziel mit einem anderen zu verwechseln. Um sich von der immer stärker werdenden globalen Konkurrenz abzuheben, setzen die Reiseziele nun auf ihre kulturelle Identität. Zu diesem Zweck zögern sie nicht, diese zu erfinden, wenn das lokale Kulturerbe nicht reich oder attraktiv genug ist. Nantes und seine "Voyage à Nantes" sind ein emblematisches Beispiel dafür. Im Übrigen sei daran erinnert, dass es ein grundlegendes Merkmal der menschlichen Kultur ist, sich ständig weiterzuentwickeln, zu verändern und umzugestalten. Eine Kultur, die in ihren Traditionen erstarrt ist, ist eine Illusion.

https://www.levoyageanantes.fr/sorganiser/ou-dormir/chambres-dartistes/

In Frankreich ist man sich einig, dass es dem Baskenland und der Dordogne gelungen ist, eine starke kulturelle Identität aufzubauen, die für Touristen leicht erkennbar ist. Natürlich erkennen sich die Einheimischen nicht immer in der vermittelten Kommunikation und dem Bild wieder, das Touristen von ihrem Gebiet haben. Viele Einheimische leisten daher Erinnerungsarbeit, um ihre lokalen Eigenheiten wiederzugeben und hervorzuheben. Von allen Seiten entstehen Initiativen, um das bauliche Erbe wieder zur Geltung zu bringen. Geschichten und lokale Feste werden wiederbelebt. Die lokalen Gemeinschaften sind heute Akteure des Tourismus und nicht mehr nur Nutzniesser der wirtschaftlichen Auswirkungen. Die Beziehungen zwischen Touristen und Einheimischen können positive Wechselwirkungen in Gang setzen, vorausgesetzt natürlich, dass die Touristenzahlen auf einem für die Einheimischen akzeptablen Niveau bleiben.

Zeitgenössische, junge Kreation und Kurorte

Jenseits traditioneller kultureller Identitäten steckt die zeitgenössische Kultur voller Kreativität. Evelyne Lehalle ist der Meinung, dass wenig getan wird, um das Angebot zu verjüngen, obwohl das zeitgenössische Schaffen junge Menschen begeistert. Musik, Videos, Filme oder zeitgenössischen Tanz konsumieren oder selbst machen: Der heutige kreative Tourismus ist in den Angeboten noch relativ wenig präsent, beginnt aber aufzutauchen, wie das Beispiel der 17 Kurorte des Zentralmassivs zeigt, die sich zusammengeschlossen haben, um ein originelles Angebot zu schaffen. Sie beherbergen bis Ende 2024 das Projekt Culture Bains, eine Künstlerresidenz, welche die breite Öffentlichkeit durch innovative Kunstformen wie digitale Kunst, Street Art, zeitgenössische Kunst, Design, Fotografie oder Architektur für die Thermalkultur dieser Städte sensibilisieren will.

https://www.villesdeaux.com/projets/culture-bains/

 

Referenz

Revue Espaces 375, Nov.-Déc. 2023, Dossier "Tourisme culturel", 76-120